Alles Anders

Donnerstag Nachmittag, die Förderstunde in der Hirschbergschule fängt gleich an und vor der Turnhalle im 1. Stock warten schon mehrere Kinder und Eltern. An der Glastüre hängt diesmal ein Zettel: „Liebe Psychomotorikgruppe, hier findet heute die Schuleinschreibung statt, eure Stunde muss in die Aula im Erdgeschoss verlegt werden!“
Aufgeregte Kinder, irritierte Eltern, eine überraschte und leicht genervte Gruppen-leiterin – hätte man uns das nicht schon letzte Woche mitteilen können?
Also los, dann machen wir uns eben wieder auf den Weg nach unten, und sicher-heitshalber nehmen wir eine unserer Spielkisten mit Kleinmaterial mit - wer weiss, was die „Aula“ uns bietet?
In jedem Fall eine Überraschung : die Aula (für die übrigens erst der Schlüssel vom Hausmeister geholt werden muss) war zwar vielleicht mal eine Turnhalle, sieht aber kein bißchen mehr so aus. An der hinteren Wand befindet sich ein Bühnenpodest, rechts ein Klavier und jede Menge elektronische Geräte sowie Verstärker, Boxen, Kabel ...... und auf der anderen Seite Türme über Türme aufgestapelter knalloranger Plastikstühle!  Von Turngeräten, Matten und anderem Spielmaterial keine Spur, und der ehemalige Geräteraum ist mit Gerümpel zugestellt.

Egal, wir fangen jetzt endlich mit unserer Stunde an, viel Zeit ist schon vergangen. Die Kinder stürmen die Halle und erobern als erstes das Podest. Das heisst, fast alle Kinder: Felix nämlich ist ganz unglücklich und verunsichert, fängt schließlich zu weinen an und ist durch nichts zu bewegen, sich die Ersatzturnhalle mal anzusehen. Er bleibt zuerst mit seiner Mutter im Flur und geht bald nach Hause.

Wir anderen erklären das Podest zu unserem Anfangstreffpunkt, der normalerweise eine große Weichbodenmatte wäre, die wir immer gemeinsam umknallen lassen. Heute aber residiert unser Begrüßungskreis auf der Bühne und zuerst wird nochmal aufgeregt die ungewohnte Situation diskutiert. Es wird beschlossen, das Neuland zu erforschen und herauszufinden, was man hier spielen kann.

Jonas und Max erkunden die Stühlestapel – gar nicht so einfach, den obersten herunterzuheben, aber wenn sich einer auf einen umgedrehten Plastikbehälter stellt und der andere unten den Stuhl in Empfang nimmt, geht’s!
Vincent richtet sich unter dem Klavier ein: er ist ein Vampir und hat dort seinen Sarg stehen, in dem er schläft, bis es Nacht wird. Das findet Theo interessant. Er wird auch zum Vampir, muss aber im Gegensatz zu Vincent immer wieder aus dem Gruselkeller heraufsteigen, um zu überprüfen, ob es schon Nacht ist.

Mittlerweile hat sich die Aula in einen gefährlichen Dschungel verwandelt, durch den eine wackelige und kurvenreiche Brücke führt: die abgebauten Stapelstühle!!
Unter Anleitung und konzentrierter Mitarbeit von Kati schleppen, schieben und rutschen Jonas und Max die Brückenstühle so lange hin und her, bis man trockenen Fußes und ohne im Dschungelsumpf zu versinken, von einer Wand zur anderen balancieren kann. Kati allerdings ist jetzt eine Schlange, die heimtückisch unter der Brücke kriecht und versucht, die oben schleichenden Dschungeltiere herunterzu-ziehen.


Dazu kommt aus heiterem Himmel ein Überraschungsangriff der beiden Vampire, denen es im Sarg zu fad wurde. Wie gut, dass es zwei oder drei Zauberstühle gibt, auf denen man unverletzlich ist und ausruhen kann, sonst wäre unser Dschungel schnell entvölkert!

Oje, unsere ohnehin schon geschrumpfte Dreiviertelstunde ist fast vorbei und die Bühnenarbeiter müssen sich ans Aufräumen machen.
 Wir probieren aus, wieviele Stühle wir aufeinanderstellen können. Kati hat eine Idee: sie klettert auf’s Podest und wuchtet von dort die von den Jungs angeschleppten Stühle aufeinander.  Eine ziemliche Knochenarbeit, ständig verhaken sich die Metallbeine!  Aber endlich ist alles geschafft und unser höchster Stapel besteht aus
- von allen laut mitgezählt -  zwölf Stühlen!!!

Für ein ruhiges Entspannungsspiel am Ende der Stunde bleibt heute keine Zeit mehr.
Wir treffen uns wieder im Kreis auf der Bühne, trommeln zum Abschluss noch ein Gewitter mit Regen, Blitz und Donner auf den Holzboden, lassen die Sonne wieder scheinen und sagen Auf Wiedersehen.


Wie war das noch gleich in der Psychomotorik?
Mit dem vorhandenen Raum und dem zur Verfügung stehendem Material eine Stunde gestalten, die Material- Sozial- und Körpererfahrung bietet?

Das scheint ja geklappt zu haben!

Und als Tipp zum Schluss fällt mir noch ein: 

SCHAFFT  EUCH  STÜHLE  AN !

Nachtrag:

  • unsere Materialkiste haben wir ungeöffnet wieder in den ersten Stock zurückgeschleppt.
  • Am nächsten Donnerstag war die Welt für Felix wieder in Ordnung: in unserer guten alten Turnhalle und mit der vertrauten  Struktur konnte er wie immer mitspielen.

Monika Angermair